radio tesla im september:
radiotheater: artaud
hörspiel, feature, radiokunst aus vergangenheit, gegenwart und zukunft des mediums

kultur, anspruch und form des theaters gelten neben der erfindung des radios und dessen verbreitung in deutschland seit 1923 gemeinhin als geburtshelfer des hörspiels. als erstes hörspiel nimmt man einen stromausfall während einer theatralischen vorführung an, in dessen verlauf ganz einfach ohne licht weiter gespielt wurde. in den anfangstagen des deutschsprachigen radios hieß sowas dann sendespiel. in seiner form war es dem ideal des theaters für blinde nachempfunden und kam verkürzt gesagt als die 'fortsetzung des theaters mit anderen mitteln' daher. vor der radiogerechten entwicklung der tonaufzeichnung mussten hörspiele live im sender gespielt werden, was man anfangs gar in voller kostümage absolvierte.

das hörspiel war also ursprünglich an den begriff des schauspiels angelehnt: die rein optischen qualitäten licht, farbe, kostüm etc. wurden durch zusätzliche, akustische signale ersetzt: geräusche, hintergrundmusik, raumblenden und elektronische schallerzeugnisse.

entscheidend für die entwicklung des hörspiels zu einer eigenständigen radiokunstgattung jenseits bloßer literaturadaption war der einsatz der im schauspiel nur begleitend, bzw. illustrativ eingesetzten kompositionsmaterialien ton und geräusch. erst das vertrauen auf die ausdruckskraft dieser nonverbalen bausteine verhalf dem medium zu eigenem künstlerischen ausdruck und neuen ästhetischen formen. interessanterweise stellt sich bei dieser überlegung eine parallele zur geschichte des schauspiels her, das durch apologeten wie antonin artaud in den 1930er jahren in ausdrucksmitteln, form und wahrhaftigkeitsanspruch revolutioniert werden sollte.

artaud forderte - grob gesagt - den sprung vom darstellenden zum sinnbildenden theater eben durch eine berücksichtigung aller, auch nonverbaler und spontaner artikulationen. artauds entwurf des sogenannten 'theaters der grausamkeit' erging es wie vielen visionären konzepten des beginnenden 20. jahrhunderts: es benötigte das ganze jahrhundert, bis dramatiker, schauspieler, regisseure, aber auch musiker und bildende künstler die möglichkeiten des angedachten für sich umzusetzen verstanden und dem theater im funk wie auf der bühne neue wege zeigten.

anlässlich des 110. geburtstages antonin artauds am 4. sept. 2006 setzt radiotesla beide kunstgattungen in beziehung und widmet zwei hörabende [20. und 27. sept.] und einen salon [26. sept.] den phänomenen radio und theater.

mi. 20. sept. 2006 | 20:30 h

radiokunst

kai-uwe kohlschmidt, kai grehn: akte artaud [radio fleur du mal 2001]

kai-uwe kohlschmidt, nino sandow, kai grehn: schluss mit dem gottesgericht [(ein traktat)] [sfb, fluxus platten, 1993]

die lebensangst, das bewusstsein, das wort im versuch das leben direkt anzugehen, der wahrhaftige ausdruck, gott. 'was wollen sie sagen monsieur artaud? ich will sagen, daß ich das mittel gefunden habe, ein für alle mal mit diesem affen schluss zu machen, und daß, wenn niemand mehr an gott glaubt, jedermann immer mehr an den menschen glaubt. [...]'


kai-uwe kohlschmidt, kai grehn: akte artaud [radio fleur du mal, 2001]

in anwesenheit von kai-uwe kohlschmidt und kai grehn

di. 26. sept. 2006 | 20:30 h | tesla salon

paul pörtner: es gibt kein firmament mehr [wdr, 1972]
antonin artaud: pour enfinir avec le jugement de dieu -- schluss mit dem gottesgericht [deutschlandfunk, 1997]

regie: götz naleppa

am 28. november 1947 erklärt artaud den organen den krieg: schluss mit dem gottesgericht. das ist nicht nur ein experiment im radio, sondern auch ein biologisches und politisches experiment, das zensur und verbot auf den plan ruft. gekrönte anarchie, schwingungen und atem. [mille plateaux]

in anwesenheit von götz naleppa [dlr-kultur] und peter berz

mi. 27. sept. 2006 | 20:30 h

grenzen

büro artaud / paul m. waschkau: die frage stellt sich [pathos transport berlin & substanz press & autorenproduktion, 2002/2005]

'den körper meiner inneren nacht erweitern...'

mit einem gefühl scharfen brennens in den gliedern ist der berliner dichter & dramatiker paul m. waschkau [archangelsk, galeere der kaltblüter/ hyänenherz] seit beginn der 90er jahre mehrfach durch die kryptischen texte artauds gereist, um sie als textsezierung öffentlich zu zelebrieren. audiogen dramatische experimental-schnitte seiner polyszenischen auftritte an schrägen unorten [wie volksbühne, invasor, t'schunk], wahnfrieds gaststimme sowie die vertonungen und industrialsounds von wolfram hasch verdichten diese reisen in die wüsten artauds zu einer brachial-schrägen wie poetischen hörspiel-komposition. # artaud research


radiotesla präsentiert ausgewählte sendungen, fragmente oder gedankensprünge aus vergangenheit, gegenwart und zukunft des radios. durch die einbindung dieser reihe in das regelmäßige programm des tesla im podewils'schen palais und vor dem hintergrund der tatsache, dass nikola tesla schließlich auch der erfinder des radios war, soll in erster linie ein forum geboten werden, dass zur auseinandersetzung mit den künstlerischen und kulturgeschichtlichen dimensionen und möglichkeiten des mediums einladen möchte. jeden monat gibt es ein thema, jeden mittwoch eine veranstaltung. wöchentlich wechseln die sparten: auf hörspiel folgen feature, radiokunst und grenzen. jeder fünfte mittwoch im monat bietet einen bonus track.

radiotesla

ein projekt des tesla im podewils'schen palais, berlin
realisierung: martina groß, andreas hagelüken, séamus o'donnell, moritz von rappard und johannes wilms.

mit freundlicher unterstützung von deutschlandfunk/deutschlandradio kultur und dem deutschen rundfunkarchiv und in zusammenarbeit mit der featureabteilung des kulturradio von rbb.

der eintritt zu allen veranstaltungen ist frei.

begrenzte platzkapazität.

telefonische anmeldung: 030. 247 49. 777
dra_w125.jpg Deutsches Rundfunkarchiv
www.dra.de
deufunk_deuradio_w125.jpg Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur
www.dradio.de